Gutenbergs Blocksatz
Der Wunsch, die rechte Satzkante möglichst gleichmäßig zu gestalten, ist schon sehr alt. [1] Man kann in der Geschichte immer wieder den Versuch beobachten, Schrift so auszugleichen, dass sie auch auf der rechten Seite bündig mit dem Format abschließt. Sei es bei Handschriften aus dem Mittelalter oder auch schon bei den Römern, zum Beispiel auf der Trajansäule. Spätestens aber seit Johannes Gutenberg und seiner Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern Mitte des 15. Jahrhunderts existieren die technischen Voraussetzungen, um Blocksatz [2] wirklich effizient umzusetzen. Mit der bis dahin üblichen Produktionsweise, dem handschriftlichen (kalligrafischen) Abschreiben von Büchern, war Blocksatz in der Qualität, wie wir ihn heute kennen, äußerst schwierig umzusetzen. Das treffsichere Erreichen der gewünschten Zeilenlänge erfordert ein vorausschauendes Schreiben, das mit extrem viel Erfahrung und Geschick verbunden ist. Durch die Innovation des Handsatzes war es plötzlich möglich (und auch technisch notwendig), planvoll mit dem Zeilenumbruch umzugehen und den Satzspiegel mit verschiedenen Methoden wie Abkürzungen und dem Einfügen von Füllmaterial (= Ausschluss) exakt aufzufüllen.
Der gleichmäßige Blocksatz der 42-zeiligen Gutenberg-Bibel gilt bis heute für viele Gestalterïnnen als Referenz in Sachen Blocksatzqualität. Johannes Gutenberg musste eine gewisse Qualität sichern, um Akzeptanz für seine neue Technologie bei einem Publikum zu schaffen, das hochwertige Handschriften gewohnt war. [3]
Was ist guter Blocksatz?
Das häufigste Problem bei heutigem, automatisch gesetztem Blocksatz sind meist die zu großen Wortabstände. Bei optimalem Blocksatz weicht der Wortabstand nicht wesentlich von der Breite des normalen Wortabstandes (= Leerzeichen) ab. Außerdem sollte der Wortabstand nicht größer als der Zeilenabstand sein, damit sich optisch keine unschönen vertikalen Löcher [4] bilden und damit das Auge beim Lesen nicht in der Zeile verrutscht.
Heute gängige Textverarbeitungssoftware wie Microsoft Word oder Apple Pages bieten ganz selbstverständlich eine automatische Blocksatzfunktion an. Es ist aber gar nicht so einfach, damit wirklich guten Blocksatz umzusetzen. In professioneller Software (zum Beispiel Adobe InDesign) kann die Blocksatzqualität durch eine Reihe von typografischen Parametern verbessert werden – einzelne dieser Stellschrauben stehen auch in Word und Pages zur Verfügung. Im Wesentlichen bestimmt heute das Zusammenspiel folgender Aspekte die Blocksatzqualität: [5]
- Breite der Kolumne (= Spaltenbreite)
- Schriftgrad
- Wortzwischenräume
- Zeilenabstand
- Laufweite der Schrift (Buchstabenabstand)
- Kerning der Schrift
- Verfügbarkeit von Silbentrennung
- optischer Randausgleich
Die Einstellungen dieser Parameter beeinflussen sich gegenseitig und wirken sich hauptsächlich auf die Größe der Wortabstände aus. Im ungünstigen Zusammenspiel mit dem Zeilenabstand führen diese Lücken dann zu der unerwünschten Bildung von sogenannten Gießbächen (= Lücken im Textbild).
Gutenbergs Blocksatz
In seiner 42-zeiligen Bibel (B42) gelang es Johannes Gutenberg, ein gleichmäßiges Satzbild zu erreichen, das »[…] ohne Vorbild war und daher dieses erste gedruckte Buch von Bedeutung zu einem typografischen Meisterwerk machte, das die parallel entwickelten Drucke […] bei Weitem übertraf.« [6]
Auch Johannes Gutenberg und seine Mitarbeiter bedienten sich einer ganzen Reihe einzelner Parameter, die in ihrer Summe zu einem ausgeglichenen Blocksatz führten:
Abbreviaturen (= Abkürzungen)
Wie zu dieser Zeit üblich, verwendete auch Gutenberg in seiner Bibel eine große Zahl an lateinischen Abkürzungen. Die Abkürzungspraxis war deutlich ausgeprägter als in heutigen deutsch- oder englischsprachigen Druckerzeugnissen. Es gab Abkürzungen, die nur aus einem einzigen Buchstaben bestanden, dafür aber je nach Kontext gleich mehrere unterschiedliche Bedeutungen annehmen konnten. Zudem schwankte die konkrete Verwendung von Abkürzungen in Gutenbergs B42 im Detail zwischen den verschiedenen Setzabschnitten.

Ligaturen
Ein weiteres wichtiges Instrument zum flexiblen Ausfüllen der Zeile waren Ligaturen, also zwei oder mehrere Buchstaben, die zu einem eigenständigen Zeichen zusammengefasst wurden. Oft ist dabei ein Teil des einen Buchstabens gleichzeitig auch Teil des anderen Buchstabens. Die Herkunft der Ligaturen liegt in der Tradition des Schreibens, bei der sich manchmal selbst zwischen ungewöhnlichen Buchstabenpaaren Verbindungen ergeben – sei es um Platz zu sparen oder im Rahmen der künstlerischen Freiheit des jeweiligen Schreibenden. Insbesondere bei der Textura, der schmalen, gebrochenen Schrift, in der auch die Gutenbergbibel gesetzt war, drängte sich der Einsatz von Ligaturen auf, um ein noch gleichmäßigeres Schriftbild zu erzeugen. Die gleichförmigen Buchstaben der Textura, die sich zu einer ornamentalen, gewebeartigen Struktur zusammenfügten, scheinen jede Unregelmäßigkeit, jeden Störfaktor nach Möglichkeit eliminieren zu wollen.

Buchstaben-Varianten
Neben Abbreviaturen und Ligaturen gab es von einigen Kleinbuchstaben auch noch verschieden breite Varianten sowie Anschlussbuchstaben, die je nach Kontext eingesetzt wurden und so ebenfalls zu einem gleichmäßigen Zeilenabschluss beitrugen. Mit Anschlussbuchstaben sind Glyphen gemeint, bei denen die Serifen an einer oder an beiden Seiten abgefeilt wurden, damit sie enger an die benachbarten Buchstaben herangesetzt werden und somit störende weiße Flächen innerhalb des Wortes vermieden werden konnten. [7] Insgesamt kamen bei der 42-zeiligen Gutenberg-Bibel etwa 290 verschiedene Glyphen zum Einsatz.

Trennung und optischer Randausgleich
Die Praxis der Silbentrennung hat Gutenberg von den handschriftlichen Vorlagen übernommen und in seine neue Technik des Handsatzes integriert. Obwohl es eine technische Herausforderung dargestellt haben dürfte, ragen die Trennungszeichen über die Satzkante hinaus, sodass optisch auch an diesen Stellen keine weißen Löcher entstehen. Eine Praxis, die unter dem Begriff »optischer Randausgleich« ihren Weg in moderne Software gefunden hat.
Bei der Beurteilung der Zeilengleichheit und der Kolumnenabschlüsse ist zu berücksichtigen, dass das Hochgestellte und eine Anzahl Interpunktionszeichen nicht in die Zeile eingerechnet werden, sondern in den freien Raum rechts von der Kolumne gehören. Von den Interpunktionen sind dies das Trennungszeichen und der Punkt […]. Als in die Zeile gehörig gelten das Fragezeichen und der Doppelpunkt. [8]
Ein weiteres bemerkenswertes Detail ist, dass Gutenberg Trennungen am Schluss der letzten Zeile einer Kolumne konsequent vermied und dabei sogar leichte Abweichungen der Zeilenlänge in den vorherigen Zeilen in Kauf nahm. [9]
Von Gutenberg lernen
Was wir von Gutenberg für unseren heutigen digitalen Blocksatz lernen können: Die Satzqualität wird durch das Zusammenspiel verschiedenster Parameter bestimmt. Je mehr Parameter einbezogen werden, desto weniger muss an jeder einzelnen Stellschraube gedreht werden und desto weniger fällt diese Manipulation auf. Wie genau funktioniert digitaler Blocksatz (im Web) und warum erreichen wir heute in den seltensten Fällen die Qualität von Gutenbergs Blocksatz? Mehr dazu im zweiten Teil unserer Blocksatz-Reihe: → Blocksatz im Web
Dieser Text basiert auf der Masterarbeit von Johannes Ammon mit dem Titel »Blocksatz im Web – Verbesserungen durch Algorithmen und Variable Fonts«. Johannes absolvierte 2019 den Studiengang Gutenberg Intermedia | Type + Code an der Hochschule Mainz.
- vgl. Andree, Hans: Das letzte Relikt Gutenbergs, Vom Umgang mit der rechten Satzkante, in: Mittelweg 36 Ausgabe 3/2002, S. 6
- Der Begriff »Blocksatz« entsteht erst deutlich später, zur Zeit des Jugendstils. Zuvor sprach man von der »geschlossenen Textkolumne« oder »geschlossenen rechten Satzkante«. (vgl. Andree, Relikt Gutenbergs, S. 6) Der Übersichtlichkeit halber nutze ich in diesem Text überwiegend den heute gebräuchlichen Begriff »Blocksatz«.
- vgl. Andree, Hans: Das letzte Relikt Gutenbergs, Vom Umgang mit der rechten Satzkante, in: Mittelweg 36 Ausgabe 3/2002, S. 4
- Auch »Gießbäche« oder im Englischen »rivers« genannt.
- vgl. Beinert, Wolfgang: Blocksatz | Schriftsatzart (Typografie), typolexikon.de, Lexikon der Typografie
- Füssel, Stephan: Die Gutenberg-Bibel von 1454, Kommentar zu Leben und Werk von Johannes Gutenberg, TASCHEN, Köln, 2018, S. 44
- vgl. Füssel, Stephan: Die Gutenberg-Bibel von 1454, Kommentar zu Leben und Werk von Johannes Gutenberg, TASCHEN, Köln, 2018, S. 44
- Schwenke, Paul: Untersuchungen zur Geschichte des ersten Buchdrucks, Königliche Bibliothek zu Berlin, 1900, S. 42
- vgl. Schwenke, Paul: Untersuchungen zur Geschichte des ersten Buchdrucks, Königliche Bibliothek zu Berlin, 1900, S. 42